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MUNZINGER Personen

Yacouba Sawadogo

burkinischer Landwirt; Alternativer Nobelpreis 2018
Geburtstag: 1. Januar 1946 Gourga
Todestag: 3. Dezember 2023 Ouahigouya
Nation: Burkina Faso

Internationales Biographisches Archiv 24/2024 vom 11. Juni 2024 (sb)


Blick in die Presse

Herkunft

Yacouba Sawadogo wurde 1946 in Gourga, einem Dorf ca. 110 Meilen nördlich der Hauptstadt Ouagadougou im ariden Norden (Sahelzone) von Burkina Faso (vormals Obervolta), als Sohn von Adama Sawadogo und Fatimata Bilem geboren. Die Eltern waren arme Bauern.

Ausbildung

In den frühen 1950er Jahren wurde S. auf eine Koranschule im benachbarten Mali geschickt, scheiterte aber als Schüler. Nach Jahren vergeblichen Bemühens, dem Jungen Lesen und Schreiben beizubringen, schickte ihn die Schule wieder nach Hause. So kehrte S. 1960 in seine Heimat zurück und begann, auf dem Markt des Städtchens Ouahigouya Haushaltswaren zu verkaufen.

Wirken

Kampf gegen Desertifikation und HungerBurkina Faso zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. S.s Heimatprovinz Yatenga liegt teils am Rand, teils in der Sahelzone, eine sich quer durch Afrika ziehende Übergangszone vom sich nördlich anschließenden eigentlichen Wüstengebiet der Sahara bis zur Trockensavanne im Süden. Bei S.s Rückkehr 1960 hatte das Land gerade mehrere schwere Trockenheitsphasen durchlitten, die v. a. im Norden zu dramatischen Ernteausfällen und verbreitetem Hunger führten. Als Anfang der 1980er Jahre eine neue Dürre über die Region hereinbrach und eine noch weit schlimmere Hungersnot auslöste, verließen die Menschen massenhaft ihre Dörfer und flohen nach Ouahigouya und andere Städte, in denen sie schließlich auch nur Not und Elend fanden. In dieser Situation entschloss sich S., seine Arbeit als Händler zu beenden und in sein Dorf Gourga zurückzugehen.

Dort, wo keine internationalen Projekte zur Wiederbegrünung oder -fruchtbarmachung mehr halfen, wo auch die traditionellen Methoden der Bodenbearbeitung und -bewirtschaftung an den langen Dürrezeiten scheiterten, begann S. wieder zu säen und anzupflanzen. Die vorherrschende Nutzpflanze in jener Region ist die Hirse. Die traditionelle Methode, den harten, trockenen und krustigen Boden urbar zu machen, nennt man in der Sahelzone "Zaï". Dabei werden per Eselspflug Furchen, per Hacke Löcher bzw. kleine Gruben gegraben, dann Samen einzeln in die Löcher gesetzt und mit Erde bedeckt. Samen, die in Dürrephasen immer wieder vertrockneten. Auch S. setzte an diese uralte Anbautradition an, entwickelte sie aber weiter. Auch er schlug in mühsamer Handarbeit mit der Hacke Löcher, vergrößerte diese aber, ummantelte die Hirsesamen mit einer Mischung aus Blättern, Viehdung und Asche und begrub sie zusätzlich unter einer Schicht weicher Erde. Anders als traditionell praktiziert begann er schon vor der Regenzeit mit dem Aussäen, das Legen von Steinreihen sorgte zusätzlich dafür, den Fluss des Regenwassers aufzuhalten.

"Der Mann, der die Wüste aufhielt"Obwohl von der lokalen Bevölkerung zunächst für verrückt erklärt und wegen seines Traditionsbruchs, schon vor der Regenzeit mit der Aussaat zu beginnen, angefeindet, setzte S. seine Arbeit unbeirrbar fort. Schon die erste Hirseernte war groß. Der Erfolg sprach sich herum. Wie sich zeigte, lockte das den Samen beigegebene organische Material mit der Zeit Termiten an. Diese lockerten den Boden, so dass dieser das Wasser besser speichern konnte. Bald keimten neben der Hirse auch zarte Triebe junger Bäume und Sträucher. Größer gewachsen spendeten diese wertvollen Schatten, schützten vor Wind und Bodenerosion, durch die herabgefallenen Blätter blieb das Erdreich länger feucht. Es dauerte eine ganze Weile, bis die Menschen aufhörten, in S. einen Verrückten zu sehen. Mehr und mehr übernahmen seine Anbaumethode, er selbst organisierte Kurse. Auch internationale Entwicklungsorganisationen wurden auf seine Arbeit aufmerksam. "Climate-smart agriculture" wurde zum neuen Leitbegriff einer Landwirtschaft, die sich veränderten klimatischen Bedingungen anpasst.

Dort, wo S. 1980 mit der Hacke seine ersten Löcher schlug, haben sich über drei Jahrzehnte später Hunderte Hektar Wüste in Ackerland verwandelt. Auf 40 Hektar einst totem Boden hatte er über die vielen Jahre einen ganzen Wald gepflanzt, mit über 60 verschiedenen Arten von Bäumen und Sträuchern. Der frühere BBC-Kameramann Mark Todd, der 2007 auf S. gestoßen war und diesen bei seiner Arbeit beobachten konnte, präsentierte 2010 eine vielbeachtete und mit mehreren Preisen ausgezeichnete Filmdokumentation über S. mit dem Titel "Der Mann, der die Wüste aufhielt", in der er mit Laiendarstellern auch dessen Kindheit, die Jahre in der Koranschule, die Hungersnot und die Folgezeit nachstellte. In der Folge wurde S. auch zu internationalen Konferenzen eingeladen, um über seine Arbeit zu berichten. Für einen Besuch in der Schweiz verließ er 2009 zum ersten Mal seine Heimat, 2010 besuchte er die USA, 2011 Südkorea, 2013 Namibia. 2013 wurde er von der UN Convention to Combat Desertification (UNCCD) als einer ihrer ersten "Global Dryland Champions" gewürdigt.

"Alternativer Nobelpreis"2018 wurde S. mit dem "Right Livelihood Award" ausgezeichnet. Der auch als "alternativer Nobelpreis" bezeichnete Preis für "verantwortungsvolle Lebensführung" geht auf eine Initiative des Deutsch-Schweden Jakob von Uexküll zurück, der es als Mangel empfand, dass das eigentliche Nobel-Komitee viel zu viele zukunftsweisende, für Menschen sehr wichtige Leistungen ignoriere. Die internationale Jury würdigte S. "für die Verwandlung von unfruchtbarem Land in lebendigen Wald und für die Weiterentwicklung von lokalem und indigenem Wissen zur Regeneration des Bodens".

Das über Spenden finanzierte Preisgeld von insgesamt 3 Mio. Schwedischer Kronen verteilte sich 2018 wie gewohnt auf drei dotierte Preise. Weitere Preisträger des "Right Livelihood Award" 2018 waren neben S., auf den ein Drittel des Preisgeldes entfiel, der Agrarwissenschaftler Tony Rinaudo (Australien) sowie die Menschenrechtler Abdullah al-Hamif, Mohammad Fahad al-Qahtani und Waleed Abu al-Khair aus Saudi-Arabien, die sich einen Preis teilten.

Letzte EntwicklungenEine zunehmende Bedrohung für den von S. geschaffenen Wald stellte die Nähe zu der wachsenden Stadt Ouahigouya dar, zumal das Land ihm nicht gehörte. Im Rahmen eines Regierungsprogrammes zur Steigerung von städtischen Einnahmen annektierte die Stadt das Gebiet, dessen Randflächen bereits zur Bebauung freigegeben und abgeholzt wurden. S. selbst konnte sich den Erwerb des Landes nicht leisten. 2019 wurden erste Gebäude errichtet, parallel wurde über ein laufendes Verwaltungsverfahren zum Schutz des Grundstücks als kommunales Erbe berichtet (Quotidien Sidwaya, 3.7.2019). Im Juni 2021 wurde schließlich ein Schutzzaun für den gesamten Wald in Anwesenheit des Umweltministers von Burkina Faso eingeweiht. Den jüngsten Protesten der globalen Fridays-for-Future-Bewegung, ausgehend von Schülern und Studierenden, die sich für schnelle und effiziente Klimaschutz-Maßnahmen einsetzen, stand S. wohlwollend gegenüber. "Meine Nachricht an die Jugend lautet: Sie soll sich für die Wälder und den Boden interessieren. Nur so lässt sich wieder etwas ernten", ließ er in der der tageszeitung dazu verlauten (8.11.2021). Die Verantwortung sah er vor allem aber auch bei der Politik (vgl. ebd.).

Familie

Am 3. Dez. 2023 starb S. nach langer Krankheit im Alter von 77 Jahren in einem Krankenhaus in Ouahigouya. Er hinterließ seine drei Frauen Safiata, Khaddar Su und Raqueta sowie 27 Kinder und zahlreiche Enkelkinder. Vor allem Sohn Lookman führte S.s Erbe fort.

Literatur

Sekundärliteratur: Andrea Jeska, "Der Mann, der die Wüste aufhielt. Die Geschichte von Yacouba Sawadogo" (14); Mark Dodd, "The man who stopped the desert" (10; Filmdokumentation).

Auszeichnungen

Auszeichnungen u. a.: Right Livelihood Award (18; "Alternativer Nobelpreis").



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