Hans Zender

*  22. November 1936

†  23. Oktober 2019

von Wilfried Gruhn

Essay

Tradition und Gegenwart

Will man die musikgeschichtliche und kompositionsästhetische Bedeutung zeitgenössischer Musik beurteilen, sieht man sich dem Dilemma gegenüber, entweder aus mangelnder Distanz möglicherweise falsche Perspektiveinstellungen in Kauf nehmen zu müssen oder die Perspektive aus mangelnder Vertrautheit nur auf das bereits Bekannte, Sichere – und das ist in der Regel die technische, strukturelle Seite der Musik – zu verengen. Ein ähnliches Problem stellt sich dem Komponisten, der als Interpret in den Vermittlungsprozess neuer Musik eingebunden ist, sich also mit den verschiedensten Strömungen und Tendenzen künstlerisch auseinandersetzen muss, als Komponist aber seine eigene Sprache bewahren möchte.

Diese Spannung des sowohl innerhalb wie außerhalb der Tradition stehenden Musikers hat Zender künstlerisch wie intellektuell bewusst reflektiert. Er selbst spricht von der Spaltung seines kompositorischen Denkens »in einen artifiziellen und einen experimentellen Teil« (Zender 1994, 31). Artifiziell kann der Strang seines Œuvres genannt werden, der bewusst in der Tradition europäischen Komponierens steht, sei es dadurch, dass die Werke den Ideen und Positionen der Avantgarde folgen, die in ihrer Material- und Zeitauffassung aber immer noch ästhetische Positionen der Zeit Beethovens auf der Grundlage der Hegelʼschen Geschichtsphilosophie fortschreibt (hierzu zählen die frühen Arbeiten), oder sei ...