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William F. Deedes

britischer Journalist, Publizist und Politiker
Geburtstag: 1. Juni 1913 London
Todestag: 17. August 2007 Aldington
Nation: Großbritannien

Internationales Biographisches Archiv 03/2008 vom 15. Januar 2008 (cs)


Herkunft

William (Bill) Francis Deedes, seit 1986 Baron Deedes of Aldington, wurde zwar in London geboren, entstammte aber einer Grundbesitzerfamilie aus dem südostenglischen Kent. Dieses County hatte die Familie erstmals zur Zeit von Charles II (1660-1685) und seither mehrfach im Parlament vertreten. D. wuchs am Familiensitz in Aldington und dann auf Saltwood Castle auf.

Ausbildung

D. besuchte standesgemäß die exklusive Harrow School. Da der Vater nach dem Zusammenbruch der Börsen 1929 das noch verbliebene Vermögen verloren hatte, musste D. die Schule abbrechen und auf ein Studium verzichten.

Wirken

D. erhielt 1931 über Kontakte eine Stelle als Reporter bei der 1772 gegründeten konservativen "Morning Post". 1935 schickte ihn diese ins Kaiserreich Abessinien (Äthiopien), wo damals Mussolinis Italien einmarschierte und Giftgas einsetzte. D.s gekabelte Berichte beeindruckten, und vor Ort wurde er sogar von Kaiser Haile Selassie empfangen. Er begegnete dort auch dem Schriftsteller Evelyn Waugh, und soll diesem als Vorlage für die Reporter-Persiflage des "William Boot" in der Satire "Scoop" (1938) gedient haben. Anlass war die für die Expedition völlig überdimensionierte Gepäckmenge, welche die "Post" D. mitgegeben hatte. Bis 1937 sammelte D. dann als Parlaments-Korrespondent Erfahrungen mit dem politischen Journalismus. Als der ebenfalls konservative "Daily Telegraph" die "Morning Post" 1937 aufkaufte, wechselte D. zum "Telegraph". Damals machte er mit Reportagen über soziales Elend und Arbeitslosigkeit, beispielsweise in Südwales, auf sich aufmerksam.

Im Zweiten Weltkrieg gehörte D. dem King's Royal Rifle Corps an, das erst 1944 an die Front kam. 1945 rettete D. in Holland unter feindlichem Feuer mehrere Kameraden und erhielt das Military Cross. Als Journalist schrieb er nach 1945 über Landwirtschaft und Kommunalpolitik sowie Features über Politik und Kunst.

Bei der Unterhaus-Wahl vom Febr. 1950 gewann D. für die Conservatives (Tories) erstmals den Wahlkreis Ashford in Kent und bearbeitete danach im House of Commons Agrar- und Fischerei-Themen. Winston Churchill ernannte ihn im Okt. 1954 zum Parlamentary Secretary im Ressort Wohnungsbau und Kommunale Selbstverwaltung. Im Dez. 1955 wechselte D. unter dem neuen Premierminister Anthony Eden erneut als Juniorminister ins Innenministerium (Home Office). D. liebte die Verwaltungsarbeit nicht und beschränkte sich mit Bildung der Regierung Harold Macmillan im Jan. 1957 auf die Abgeordneten-Tätigkeit. Er amtierte im Historic Buildings Council und schrieb vermehrt für den "Telegraph".

Im Juli 1962 berief Macmillan D. in sein inneres Kabinett. D. erhielt als Minister ohne Portefeuille die Aufgabe, die Informationspolitik und die Kontakte zu den Medien zu verbessern. Trotz D.s Erfahrung kollabierte das Ansehen der Regierung 1963 während der Affäre um John Profumo (Juniorminister im Verteidigungsressort). Dieser hatte seine Frau 1961 mit einem Callgirl betrogen, das später auch eine Beziehung zu einem Sowjetdiplomaten in London hatte. Die "Profumo-Affäre" erhob sich zu einem in dieser Heftigkeit kaum erlebten medialen Sturm. Im Rückblick (Daily Telegraph, 01/1994) räumte D. ein, selbst von den Ereignissen überrollt worden zu sein, anstatt eine klare Kommunikations-Strategie durchzusetzen. D. blieb 1963 im Amt, als Alec Douglas-Home neuer Tory-Premier wurde. Nach dessen Abwahl 1964 arbeitete D. an der Erneuerung der Partei mit und unterstützte 1970-1974 seinen Parteifreund Edward Heath als "back-bencher". In der Ausschussarbeit konzentrierte er sich auf soziale Brennpunkte (Drogenabhängigkeit, Immigrantenfragen). Bei der Unterhaus-Wahl vom Okt. 1974 trat D. nicht mehr an.

Stattdessen übernahm D. 1974 die Funktion des Editor beim 1855 gegründeten "Daily Telegraph". Das Blatt war um 1970 mit einer Auflage von 1,4 Mio. Exemplaren die führende Zeitung unter den britischen Qualitätsblättern. Als Editor betreute D. bis 1986 die politisch relevante Meinungsbildung und die journalistisch anspruchsvollen Features. In seinen fundierten, natürlich konservativen und doch milde toleranten Kommentaren und als Chef gegenüber den Journalisten galt D. als vorbildlich. Freilich war er anders als ein deutscher Chefredakteur nicht für den gesamten Inhalt des Blattes zuständig. D. stand zudem loyal zur Eigner-Familie Berry um Lord Hartwell, vielleicht sogar "too gentlemanly" (vgl. z.B., the Independent, 20.8.2007). Denn in den 70er Jahren geriet der "Telegraph" wirtschaftlich aus dem Gefüge, da die Eigner-Familie der Kosten nicht mehr Herr wurde. Auch inhaltlich wagte D. anders als der direkte Wettbewerber "Times" damals keine Innovationen. 1985/1986 wurde die nahezu bankrotte Zeitung von Conrad Black übernommen, der drei Viertel der Stellen abbaute, das Blatt aber sanierte. D. schied 1986 aus, schrieb aber weiter wöchentliche Kolumnen. Auch mit über 90 Jahren war er weltweit unterwegs, blieb ein akribischer Rechercheur und nutzte die moderne Informationstechnologie souverän. In seiner letzten Kolumne vom Aug. 2007 prangerte er die Passivität des Westens gegenüber den Massenmorden in Darfur an.

Zusätzlich engagierte sich D. ab 1998 als Botschafter für den UN Children's Emergency Fund. Er setzte sich auch für die Abschaffung von Personenminen ein.

Familie

D. war seit 1942 mit Hilary Branfoot verheiratet, die 2004 verstarb. Er hatte zwei Söhne, von denen einer jung verstarb, und drei Töchter (Juliet, Jill, Lucy). Seit 1946 lebte er in einem viktorianischen Farmhaus bei Aldington. Er verschied nach kurzer Krankheit 2007 im Alter von 94 Jahren.

Werke

Bücher: "Dear Bill" (97; Autobiographie), "At War with Waugh" (03), "Brief Lives" (04), "Words and Deedes. Selected Journalism 1931-2006" (06).

Auszeichnungen

Auszeichnungen: D. wurde 1986 zum Life Peer erhoben. Hon. DCL (88; Kent), Ritter des britischen Empire (KBE; 99), British Press Award (92).

siehe auch




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