Jean-Luc Dehaene
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Internationales Biographisches Archiv
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW
Jean-Luc Dehaene wurde am 7. Aug. 1940 in der südfranzösischen Universitätsstadt Montpellier als Sohn belgischer Eltern geboren. Sein Vater war Psychiater, seine Mutter Hausfrau.
D. besuchte u. a. ein Gymnasium des Jesuitenordens in Alost und studierte an den Universitäten Namur und Leuven (Louvain) Jura und Wirtschaftswissenschaften. Die akademische Ausbildung schloss er 1963 mit der Promotion zum Doktor der Rechte ab.
1965-1971 war D. zunächst im wissenschaftlichen Dienst der flämisch-christlichen Arbeiterbewegung (ACW) tätig. Gleichzeitig engagierte er sich 1967-1971 als Vizepräsident im Jugendverband der 1945 gegründeten Christlichen Volkspartei (Christelijke Volkspartij - CVP). 1971 zog D. in das nationale CVP-Präsidium ein, von 1977 bis 1981 leitete er den CVP-Verband von Brüssel-Hal-Vilvoorde. 1972-1979 war er als juristischer und wirtschaftspolitischer Berater und Kabinettschef in verschiedenen Brüsseler Ministerien tätig.
Ministerkarriere unter Premier Martens Damals lernte D.
Im Juli 1989 trat zwar die föderale Bundesverfassung (erste Stufe) in Kraft, doch entbrannte unter dem Druck einer gigantischen Staatsverschuldung (umgerechnet ca. 450 Mrd. DM) und der anhaltenden ökonomischen Disparität zwischen Wallonien und Flandern dennoch der "Kulturkampf" aufs Neue. Die Regierung Martens verlor Ende Sept. 1991 die für die Vollendung der Bundesstaatlichkeit notwendige Zweidrittelmehrheit im Parlament und musste sich, nachdem König
1. Amtszeit als Premierminister Das Kabinett Martens blieb geschäftsführend im Amt, bis D. nach langwierigen Verhandlungen am 7. März 1992 eine neue, aus Sozialisten und Christdemokraten beider Sprachgruppen bestehende Koalitionsregierung bildete. Entschiedener als sein Vorgänger setzte er von Beginn an auf einen "Dialog von Gemeinschaft zu Gemeinschaft", und Ende Sept. 1992 war ihm das kaum noch für möglich gehaltene Kunststück gelungen, die Koalitionsparteien, die Volksunie sowie die grüne flämische Anders Gaan Leven (Agalev) und deren wallonische Schwesterorganisation Ecolo zur Einigung über ein Fünf-Punkte-Konzept zur Staatsreform zu bringen. Im Nov. 1992 wurde dieses als Gesetzesvorlage in die Kammer eingebracht. Trotz des Erfolgs geriet D.s Mitte-Links-Regierung durch die anhaltenden Haushaltsprobleme in ernsthafte Schwierigkeiten. Sie drohten sogar, die eigene Partei zu spalten, als D. im Sept. 1992 einen Sparhaushalt vorlegte, der die Voraussetzungen für den Beitritt Belgiens zum Vertragswerk von Maastricht schaffen sollte. Nachdem sich die Parteien über Maßnahmen zur Beseitigung des (umgerechnet 5,4 Mrd. DM betragenden) Defizits nicht einigen konnten, reichte D. im März 1993 bei König Baudouin seinen Rücktritt ein. Der König schob jedoch eine Entscheidung auf und beauftragte ihn, in Gesprächen mit den Parteiführern nach Kompromissen zu suchen. D. gelang eine Einigung innerhalb von 36 Stunden, und am 23. April 1993 billigte das Parlament die beiden letzten von insg. 34 Verfassungsänderungen zur Umwandlung des Königreichs in einen Bundesstaat. Im Nov. 1993 einigte sich die D.-Regierung auf einen umfangreichen "Globalplan", um den Sozialhaushalt zu sanieren, die Arbeitslosigkeit einzudämmen und die Konkurrenzfähigkeit der Wirtschaft zu stärken. In eine schwere politische Krise geriet die D.-Regierung im Jan. 1994 im Zusammenhang mit dem Rücktritt von drei Ministern wegen der sog. "Agusta"-Bestechungsaffäre (1988 Annahme von 700.000 DM Schmiergeldern des italienischen Kampfhubschrauber-Herstellers). Im März 1995 trat Außenminister
In die internationalen Schlagzeilen brachte sich D. am 17. Juni 1994, als er offiziell seine Kandidatur für die Nachfolge des Präsidenten der Europäischen Kommission,
2. Amtszeit als Premierminister Bei der auf den 21. Mai 1995 vorgezogenen Parlamentswahl wurde die Regierungskoalition unter Ministerpräsident D. bestätigt. Das Bündnis aus Christdemokraten und den Sozialisten Flanderns und Walloniens kam auf 82 (je 41) der 150 Sitze. Die zweite D.-Regierung, die personell nahezu unverändert blieb, setzte ihre Prioritäten beim Haushalt 1996 und 1997, den Privatisierungen, der Sicherung der Pensionskassen und dem Globalplan zur Beschäftigungspolitik. Im Okt. 1995 legte D. einen Sparetat vor, der das Defizit im Staatshaushalt schon 1997 auf die Maastricht-Höchstmarke von 3 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) drücken sollte. Im Mai 1996 bewilligte das Parlament dem D.-Kabinett zeitlich befristete Sondervollmachten, um über sog. "Rahmengesetze" (zur Förderung von Beschäftigung, der Reform der Sozialversicherung und der Budgetpolitik) die Erfüllung der Maastricht-Kriterien abzusichern.
Dutroux-Affäre, Abwahl In eine schwere politische Krise stürzte die D.-Regierung im Spätsommer 1995, als die grausamen Verbrechen der Kinderschänderbande um Marc Dutroux und Querverbindungen zum 1991 verübten Mord an dem wallonischen Sozialistenchef
Zu Beginn des Jahres 1997 belasteten neue Skandale und Schmiergeldaffären bei den wallonischen Sozialisten D.s Mitte-Links-Koalition erneut schwer. So wurde u. a. dem sozialistischen Abgeordneten Patrick Moriau Verstrickung in Schmiergeldzahlungen des französischen Rüstungskonzerns Dassault vorgeworfen und im Febr. 1997 trat der sozialistische Ex-Parteichef
Weltweit Aufsehen erregten schließlich die Vorgänge um die Dioxin-Krise um verseuchtes Tierfutter kurz vor den Juni-Wahlen 1999, die die Wähler dazu brachten, sich von denen zu verabschieden, die sie "die alten Krokodile" nannten. Während die Liberalen in den Wahlen am 13. Juni 1999 allein 41 Mandate gewannen, büßten Christdemokraten und Sozialisten 17 ihrer 82 Mandate ein. Als stärkste Fraktion konnte sich die VLD (23 Sitze) etablieren, deren Parteichef Verhofstadt nach dem Rücktritt D.s Mitte Juli 1999 eine violett-grüne Koalition aus Liberalen, Sozialisten und Grünen (beider Landesteile) bildete. Erstmals seit vier Jahrzehnten wurden Belgiens Christdemokraten auf die Oppositionsbänke verwiesen. D., tief enttäuscht, hinterließ seinem ungeliebten Nachfolger ein ausgeräumtes Büro. Der Ex-Premier war wenig später als Nachfolger von
Europapolitisches Engagement, MdEP In seinen Aktivitäten verlegte sich D. in der Folge auf die europapolitische Ebene. Wegen seiner erfolgreich vermittelten Kompromisse innerhalb der EU genoss er hier den Ruf eines "Klempners". Diese Eigenschaft und seine eisern verfochtene Vision vom bundesstaatlichen Europa bewogen den designierten EU-Kommissionspräsidenten
Bei einem Treffen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union im belgischen Laeken im Dez. 2001 einigten sich die Beteiligten in einer "Erklärung von Laeken" auf die Einsetzung eines Konvents für die Ausarbeitung grundlegender Veränderungen der europäischen Verträge. D. wurde von Verhofstadt neben dem früheren italienischen Regierungschef
Schon im Juni 2004 war D. bei Europawahlen für die wallonischen Christdemokraten (seit 2001 Christen-Democratisch en Vlaams - CD&V; statt CVP) in das Europäische Parlament gewählt worden. Nach der Bestätigung 2009 übernahm er den stellv. Vorsitz des Haushaltsausschusses. Äußerst schwierig gestaltete sich 2007/2008 und erneut 2010 D.s Mission als Mediator in der belgischen Innenpolitik. Hintergrund waren der neu aufgebrochene Sprachenstreit zwischen Flamen und Wallonen bzw. die umstrittene Aufteilung des Wahlkreises Brüssel-Halle-Vilvoorde, was seit dem Frühjahr 2010 eine politische Dauerkrise zur Folge hatte. Erst im Dez. 2011 brachten die Parteien um die beiden Sprachgruppen nach bereits im Juni 2010 abgehaltenen Neuwahlen eine neue Regierungskoalition unter dem wallonischen Sozialisten
Chairman bei Finanzkonzern Dexia Im Okt. 2008 ernannte die belgische Regierung D. überraschend zum Verwaltungsratsvorsitzenden (Chairman) des schwer angeschlagenen belgisch-französischen Finanzkonzerns Dexia. Dieser war im Zuge der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise in Schieflage geraten und musste als erste große europäische Bank mit Staatsgarantien von 6,4 Mrd. Euro gerettet werden. Als die Dexia wegen fehlgeschlagener Investments in Griechenland in der zweiten Jahreshälfte 2011 in eine neue Finanzklemme geriet, vereinbarten die Regierungen Belgiens, Frankreichs und Luxemburgs im Okt. 2011 eine Aufspaltung. Der belgische Staat übernahm dabei komplett das belgische Privatkundengeschäft der Dexia. Die in Frankreich als langfristiger Finanzier von Kommunen tätige Tochter Dexia Municipal Agency (DMA) wurde laut Rettungsplan von der französischen Staatsbank Caisse des Depots und der Postbank aufgefangen.
Im Zuge der Neustrukturierung erklärte D. seinen Verzicht auf die ihm für 2011 zustehende Vergütung in Höhe von 70.000 Euro. Ferner kündigte er den Verzicht auf sein Aufsichtsratsmandat an. 2011 verbuchte die Dexia-Gruppe mit ihren rd. 35.000 Beschäftigen bei einer Bilanzsumme von 518 Mrd. Euro einen Rekordverlust von insgesamt 11,6 Mrd. Euro. Hierzu führten u. a. die Kosten des Verkaufs der Dexia Banque Belgique (4 Mrd. Euro) sowie die Abschreibung von 75 % auf griechische und vergleichbare Staatsanleihen mit 3,4 Mrd. Euro. Über Wasser gehalten wurde das Institut zunächst nur durch die Zusage weiterer staatlicher Garantien in Höhe von maximal 90 Mrd. Euro - Belgien sollte hiervon 60,5 %, Frankreich 36,5 % und Luxemburg 3 % tragen -, deren Bewilligung durch die EU-Kommission im März 2012 aber noch ausstand.
D. war mit Celia Verbeke verheiratet und Vater von vier Kindern. Entspannung suchte der mehrfache Großvater und Anhänger des FC Brügge auf dem Fußballplatz.
15. Mai 2014: Der belgische Politiker und frühere Premierminister
Auszeichnungen: D. wurde mit zahlreichen Ehrendoktortiteln ausgezeichnet.
Weitere Ämter/Mandate: Mitglied des belgischen Senats (83-88, 95-01) und des Abgeordnetenhauses (88-95); Mitglied Internationale Balkan-Kommission (04-05), Bürgermeister von Vilvoorde (01-07), Verwaltungsratsvorsitzender Europakolleg (99-09), Vorsitzender "Club Financial Control Panel" der UEFA (ab 09).