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MUNZINGER Personen

Carme Chacón Piqueras

spanische Juristin und Politikerin; Ministerin (2007-2011); MdP; PSC-PSOE; Dr. jur.
Geburtstag: 13. März 1971 Esplugues de Llobregat/Prov. Barcelona
Todestag: 9. April 2017 Madrid
Nation: Spanien

Internationales Biographisches Archiv 25/2012 vom 19. Juni 2012 (hu)
Ergänzt um Nachrichten durch MA-Journal bis KW 14/2017


Blick in die Presse

Herkunft

Carme María Chacón Piqueras wurde 1971 in Esplugues de Llobregat, einem Industrievorort von Barcelona, mit einem Herzfehler geboren und wuchs in einfachen Verhältnissen auf. Ihr Vater kam aus Almería (Andalusien) und war Beamter bei der Feuerwehr von Barcelona. Die Familie ihrer Mutter, einer politisch links stehenden Rechtsanwältin, stammte aus Katalonien. Ihr Großvater war Anarchist und kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) gegen die Franco-Faschisten.

Ausbildung

Nach dem Schulabschluss an einem katholischen Gymnasium studierte Ch. 1989-1994 Jura an den Universitäten Barcelona und Manchester. Ihr Studium finanzierte sie dabei zum Teil als Verkäuferin in dem Kaufhaus El Corte Inglés. An der Autonomen Universität Barcelona promovierte sie 1994-1996 mit einer Arbeit über "Föderalismus durch die kanadische Rechts- und Freiheitscharta von 1982". Postgraduierten-Kurse führten sie an die Osggode Hall Law School (Toronto), an die Universität Kingston und die Universität Montreal.

Wirken

Politische AnfängeZunächst verfolgte Ch. eine akademische Karriere und lehrte als Dozentin für Verfassungsrecht an der Universität Girona (1994-2004). Für die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) war sie als Wahlbeobachterin in Bosnien-Herzegowina (1996) und in Albanien (1997) tätig. In ihrer Heimatgemeinde Esplugues de Llobregat war Ch. 1999-2003 sowohl Stadträtin (Concejala) als auch Erste Vizebürgermeisterin (Primera Teniente de Alcalde) mit Zuständigkeit für die Bereiche Wirtschaftsdienste, Personalwesen und städtische Sicherheit.

Aufstieg im PSC-PSOE ab 2000Ch.s parteipolitisches Engagement hatte bereits im Alter von 16 Jahren begonnen, als sie den katalanischen Jungsozialisten (Joventut Socialista de Catalunya; JSC) beitrat. 1994 wurde sie Mitglied der Partei der Sozialisten Kataloniens (Partit dels Socialistes de Catalunya; PSC), einer regionalen Schwesterorganisation der Spanischen Sozialistischen Arbeiterpartei (Partido Socialista Obrero Español, PSOE). Beim 9. Kongress des PSC wurde sie 2000 in den Parteivorstand, die Nationale Exekutivkommission (Comisión Ejecutiva Nacional), gewählt. Bis 2004 war sie dort Justizsekretärin, danach ohne konkretes Aufgabengebiet. Im Bundesvorstand (Comisión Ejecutiva Federal) des PSOE war sie ebenfalls ab 2000 als Parteisekretärin für die Bereiche Bildung, Universität, Kultur und Forschung verantwortlich. Im Juli 2004 wurde sie dort als Kultursekretärin bestätigt.

Einzug ins Parlament 2000Bei den Parlamentswahlen im März 2000, bei denen sich die rechtskonservative Volkspartei (Partido Popular; PP) unter Führung von Regierungschef José María Aznar erneut die Mehrheit sichern konnte, zog Ch. für die Provinz Barcelona in die Abgeordnetenkammer (Congreso de los Diputados) des spanischen Zweikammerparlaments (Cortes Generales) ein. Ch. gehörte damals zu der vom späteren PSOE-Parteichef José Luis Rodríguez Zapatero geführten parteiinternen Bewegung "Neuer Weg" (Nueva Vía), die einen behutsamen Wandel, die Erneuerung überkommener Parteistrukturen und die Hinwendung der Partei zu einer "modernen" Sozialdemokratie erreichen wollte. Sie setzte sich aber auch für mehr Autonomie für Katalonien ein, womit sie auf Widerstände im PSOE stieß. Bei der nächsten Wahl im März 2004 wiedergewählt, wurde Ch. am 2. April erste Vizepräsidentin des nun mehrheitlich von den Sozialisten bestimmten Kongresses, während Zapatero Premierminister wurde.

Wohnungsministerin 2007/2008Am 9. Juli 2007 ernannte Zapatero die für ihre große Selbstdisziplin und Beharrlichkeit bekannte Ch. im Rahmen einer Kabinettsumbildung zur neuen Ministerin für Wohnungswesen.

Bei den Parlamentswahlen am 9. März 2008 wurde der PSOE mit 43,64 % der Stimmen und 169 der 350 Sitze erneut stärkste Kraft im Kongress und verbesserte auch das Ergebnis im Senat (89 von 264 Sitzen). Die Liste der katalanischen Sozialisten, angeführt von Ch., gewann sogar zwei Sitze hinzu. Der PP konnte zwar etwas zulegen (40,11 %, 153 [+5] Sitze) und seine Mehrheit im Senat verteidigen (101 Sitze), doch verfehlte er sein Ziel eines Regierungswechsels deutlich.

Bei der ersten Vertrauensabstimmung im Parlament am 9. April 2008 erreichte Zapatero zwar nicht die für die Wiederwahl erforderliche absolute Mehrheit, doch im zweiten Wahlgang am 11. April wurde er mit der einfachen Mehrheit von 169 gegen 158 Stimmen (23 Enthaltungen) als Ministerpräsident wiedergewählt und am folgenden Tag vereidigt. Zapatero hatte darauf verzichtet, sich durch Zugeständnisse die Unterstützung kleiner Fraktionen zu sichern, er signalisierte den Abgeordneten jedoch Offenheit für Dialog und Konsens, um Gesetzesprojekte durchzubringen.

Verteidigungsministerin 2008-2011Am 12. April 2008 stellte Zapatero sein neues Kabinett vor, in das er mehr Frauen als Männer berief. Die 37-jährige Ch. wurde zusammen mit ihren Ministerkollegen am 14. April von König Juan Carlos I. als erste Frau in der Geschichte Spaniens als Verteidigungsministerin vereidigt. Für besonderes Aufsehen sorgte dabei die Tatsache, dass sie bei ihrer Ernennung im siebten Monat schwanger war. Ch. wurde damals in den spanischen Medien als intelligent, fleißig, idealistisch und aufbruchbereit beschrieben. Kritische Kommentatoren wiesen aber auch auf ihren Mangel an militärischem Hintergrund hin und monierten, dass von ihr bis dato keine verteidigungspolitischen Aussagen bekannt gewesen seien.

Ch. versuchte, ihre - als überraschend bis gewagt eingeschätzte, von Konservativen offen abgelehnte - Berufung mit dem Hinweis, dass ja die Hälfte der Gesellschaft weiblich sei, als Normalität zu präsentieren. Zapatero sprach von einer "pädagogischen" Absicht. Seit 1988 sind im spanischen Heer auch Frauen zugelassen, 2008 waren rd. 15 % der 149.000 Soldaten/Militärpolizisten der Berufsarmee Frauen. Trotz Schwangerschaft besuchte Ch. kurz nach ihrem Amtsantritt die spanischen Truppen in Afghanistan, im Libanon und in Bosnien. Nach der Geburt ihres Sohnes nahm Ch. nur sechs Wochen Mutterschaftsurlaub und kehrte am 1. Juli 2008 wieder in ihr Amt zurück. An ihrem ersten Arbeitstag kündigte sie sogleich die Ablösung der gesamten Führungsspitze der Streitkräfte an. Insidern zufolge setzte sie sich damit sogar gegen den Premier durch, der zumindest Generalstabschef Félix Sanz gerne behalten hätte (vgl. WELT. 2.7.2008).

Anlässlich eines Besuchs beim spanischen Kontingent der NATO-geführten multinationalen Kosovo Force (KFOR; aufgestellt 1999) am 19. März 2009 oblag es Ch., den Abzug der Truppen ihres Landes (damals rd. 600 Personen) im Laufe des Sommers anzukündigen. Nach der einseitigen Erklärung der Unabhängigkeit des Kosovo von der Republik Serbien am 17. Febr. 2008 war Spanien unter der Regierung Zapatero eines der wenigen Mitgliedsländer der Europäischen Union (EU), die diese Souveränität nicht anerkannten. Der NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer bedauerte damals, dass die spanische Entscheidung nicht im Rahmen von Konsultationen mit den NATO-Partnern erfolgt sei. Am 18. Okt. 2010 weilte Ch. in Sarajewo, als Spanien nach 18 Jahren seine Militärmission in Bosnien-Herzegowina beendete. Politische Verantwortung als Verteidigungsministerin trug Ch. ein letztes Mal für einen neuen Militäreinsatz im Rahmen der UN (Resolution 1973 vom 7.3.2011) in Libyen, wo Rebellen gegen das Regime von Mu'ammar al-Gaddafi († 20.10.2011) kämpften. Die Cortes Generales stimmten am 22. März 2011 für die Beteiligung Spaniens an der bewaffnete Operationen zur Einrichtung einer Flugverbotszone über dem Wüstenstaat.

Das Ende der Ära Zapatero 2011/2012Im Fokus der spanischen Politik nach den Parlamentswahlen 2008 stand aber v. a. der Kampf gegen die in Spanien besonders dramatischen Auswirkungen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, die dortzulande von einer enormen Massenarbeitslosigkeit, insbesondere bei Jüngeren, begleitet wurde. Ein erster einschneidender Sparplan zur Sanierung der öffentlichen Finanzen wurde von der PSOE-Regierung im Jan. 2010 vorgelegt und passierte im Mai das Parlament. Während internationale Beobachter das unpopuläre Krisenmanagement durchaus würdigten, ließ das Vertrauen der Bevölkerung in die sozialistische Regierung dramatisch nach. Ab Frühjahr 2010 kam es vermehrt zu Streiks, die sich bis zu gewalttätigen (Jugend-)Protesten im Mai 2011 steigerten, als die Arbeitslosenquote auf 21,3 % und bei den unter 25-Jährigen sogar auf 43,5 % gestiegen war.

In dieser Situation erklärte Regierungschef Zapatero am 2. April 2011 seinen Verzicht auf eine weitere Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten bei der für März 2012 regulär anstehenden Wahl. Im Laufe der innerparteilichen Diskussion über einen neuen sozialistischen Spitzenkandidaten kristallisieren sich bald zwei Lager um die beiden in Umfragen beliebtesten PSOE-Politiker heraus: den 60-jährigen Alfredo Pérez Rubalcaba (vgl. FAZ, 4.4.2011) und die 20 Jahre jüngere Ch. Der Innenminister galt bereits nach seiner zusätzlichen Übernahme der Ämter des Ersten Vizepremiers (Vicepresidente primero del Gobierno) sowie des Regierungssprechers im Okt. 2010 als potenzieller Nachfolger Zapateros, von dem er auch unterstützt wurde. So gab Ch. schließlich am 26. Mai 2011 ihre Ambitionen "im Interesse der Einheit der Partei" auf (vgl. FAZ, 27.5.2011). Medienberichten zufolge gab sie damit dem Widerstand alteingesessener Sozialisten und Regionalbarone der Partei nach. Ohne Vorwahl wurde Pérez Rubalcaba dann am 9. Juli offiziell als neuer PSOE-Spitzenkandidat nominiert. Nach wachsendem Unmut auch in der eigenen Partei kündigte Ministerpräsident Zapatero am 29. Juli vorgezogene Neuwahlen für den 20. Nov. an und löste dazu am 26. Sept. das Parlament auf.

Die Novemberwahl endete mit dem schlechtesten Ergebnis des PSOE seit Ende der Franco-Diktatur (1975). Er verlor gegenüber 2008 15,1 Prozentpunkte bei den Stimmen zum Abgeordnetenhaus und erreichte dort noch 28,7 % und 110 Deputierte (-59). Als Sieger ging indessen der PP unter Mariano Rajoy Brey hervor, der sich auf 44,6 % der Stimmen (+4,7 %) und 186 (+32) Mandate im Kongress steigerte. Die gleichzeitig abgehaltene Senatswahl entschied ebenfalls der PP mit 136 (+35) von insgesamt 208 Sitzen für sich, während sich der PSOE mit 48 (-40) Senatoren zufriedengeben musste. Ch. selbst wurde zum vierten Mal in Folge als Delegierte für Barcelona gewählt, wo sie wie schon 2008 die PSC-PSOE-Liste anführte. Die Wahl des PP-Vorsitzenden Rajoy zum Ministerpräsidenten am 20. Dez. markierte das offizielle Ende der Regierung Zapatero.

Als ein Nachfolger für das Amt des PSOE-Generalsekretärs, auf das Zapatero ebenfalls verzichtet hatte, gesucht wurde, trafen Ch. und Rubalcaba erneut aufeinander. Aber auch diese Kampfkandidatur auf dem 38. PSOE-Parteitag in Sevilla am 4. Febr. 2012 verlor Ch., wenngleich äußerst knapp mit einem Rückstand von nur 22 Delegiertenstimmen (465 zu 487). Sie wurde aber in den 65-köpfigen Parteirat (Comité Federal) gewählt.

Familie

Ch. starb am 9. April 2017 erst 46-jährig infolge ihres angeborenen Herzfehlers in ihrer Wohnung in Madrid. Von ihrem Mann Miguel Barroso, Journalist und ehemaliger Staatssekretär und Regierungssprecher Zapateros, den sie im Dez. 2007 geheiratet hatte, wurde sie 2016 geschieden. Ihr gemeinsamer Sohn, Miquel, kam im Mai 2008 zur Welt. Ch. schrieb gern Gedichte.

Auszeichnungen

Auszeichnungen u. a.: Premio "Mujeres Progresistas" (08); Großkreuz des span. Ordens Carlos III (11).



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