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Sabine Wilharm, geboren am 4. 12. 1954 in Hamburg, lebt in Quickborn bei Hamburg.
Nach der Mittleren Reife bis 1976 Studium der Buchillustration an der Fachhochschule für Gestaltung, Hamburg, bei
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Immer wieder kann man lesen, dass sie zu Beginn Sachzeichnungen gemacht hat, dann Erwachsenenbücher und erst spät zum Kinderbuch kam. Das stimmt jedoch nicht und ist eine der Legenden, die sich Journalisten so gerne ausdenken. Das erste Kinderbuch wurde nicht erst Mitte der 1990er Jahre publiziert, sondern in den 1970ern – noch vor den Sachzeichnungen, eigentlich direkt nach Abschluss ihrer Ausbildung.
Natürlich war da ihr Stil noch nicht ausgereift, war sie noch auf der Suche. Und damals hat sie auch noch nicht so viele Bücher illustriert. Da galt es, den »Stern«, das »Manager Magazin« zu bedienen. Das musste schnell gehen, war oft bezogen auf tagespolitische Ereignisse. Für Bücher, für Umschläge konnte sie sich schon etwas mehr Zeit nehmen.
Schaut man sich ein frühes Bild von Sabine Wilharm an, beispielsweise den Umschlag für »Jagd auf Janne« (1977), ist das kein innovatives Werk. Aber es ist auch nicht beliebig. Da stehen die braven Bürger auf einem Hügel. Ihre Charaktere kann man genau erkennen. Darunter, auf einem Waldweg, rennt Janne. Ohne zu wissen, was in dem Buch passiert, ahnt man auf Grund der Darstellung und des Titels, dass sich die braven Bürger als gar nicht so brav entpuppen werden. Und damit ist ein wichtiges Ziel der Illustration erreicht – so viel vom Inhalt des Buches zu verraten, dass man neugierig wird, ohne aber bereits die Geschichte zu kennen. Das Bild soll in die Geschichte hineinführen, soll Lust aufs Lesen machen. Und das ist Sabine Wilharm bereits damals gelungen. Später kamen dann die stilistischen Eigenarten dazu, die wunderbaren Tiere, die vollkommen verzerrten oder besser sogar verrutschten Perspektiven, die für sie so typischen Farben. Los ging das mit der Anthologie »Lügen haben lange Beine und andere wahre Geschichten« (1992; Abb.1). Auf dem Umschlag hat das Wort Lügen eben diese langen Beine, die weit ausschreiten und gleichzeitig ein Tor bilden, durch das drei Kinder reiten, die auf dem Rücken einer Giraffe sitzen. Der halbe Mond liegt, wie eine Melonenscheibe, auf der Seite und schaukelt wie ein Schiff auf dem Meer. Das Gelb des Mondes, das Blau des Meeres und das Rot der Erde wiederholen sich in den anderen Figuren, mischen sich, sodass neben den drei Grundfarben die drei primären Mischfarben entstehen, natürlich in Mischtechnik. Da glaubt man ihr sofort, dass einer der Maler, die sie vor allem zu Beginn bewunderte, Max Beckmann war, bei dessen Bildern sie die vorherrschende Kraft beeindruckt, aber eben auch die Farben. Die Innenillustrationen im »Lügen«-Buch sind mit Bleistift gezeichnet. Das ist eher dem Verlag geschuldet, der die Kosten des Vierfarbdruckes scheute, als der Lust auf den Bleistift.
Allerdings nähert sie sich mit ersten Bleistiftskizzen neuen Figuren, die sich nur allmählich entwickeln. Das war auch und gerade bei Harry Potter (Abb.5) so, diesem Zauberlehrling, der sie berühmt gemacht hat und auf den sie sich so ungern reduzieren lässt. Das ist vielleicht auch der Grund, weshalb sie dann später, kurz vor Ende von Harry Potter, einen ganz anderen Zauberlehrling ins Visier nahm, den von
Nach dem dritten Harry-Potter-Buch begann im Jahr 2000 in Hannover eine Wanderausstellung mit den Bildern zum Buch, aber auch mit weiteren Bildern für den »Stern« und mit Vorzeichnungen für die einzelnen Figuren, die dann auch wieder auf den Umschlägen auftauchten. Der Katalog dokumentiert die Arbeitsweise, das langsame Herantasten an die Figuren und ihren Charakter. Und wenn man sich all die anderen Bücher anschaut, die seit 1998, seit dem ersten Potter, entstanden sind, sieht man die ungeheure Vielfalt dieser Illustratorin, die genauso gut Witz wie Angst, Spaß und Melancholie darzustellen weiß.
Da gibt es Bücher, deren Titel wie »Schinken und Ei« (2000) schon den Nonsens ahnen lassen, bei denen die Geschichte aber erst durch die Bilder von Wilharm wirklich witzig und hintergründig zugleich wird. In diesem Buch spielen Fische eine ganz besondere Rolle. Und dass diese mit zu Wilharms Lieblingstieren zählen, zeigt sie ebenfalls in dem Pixi-Buch »Helden« (1999), für das sie auch die Verse dichtete über vier Fische, die in einem Schirm-Kahn den Angriff einer Möwe überleben. Die Geschichte ist das eine, die Fische in den verschiedenen Positionen sind das andere. Hinzu kommt der Grün-Rot-Kontrast, der, gepaart mit dem Schwarz des Schirms, die Bilder so lebendig werden lässt.
Die Arbeiten, die sie für den Kalender »Schnurla, Waska, Murla« zeichnete, der im Jahr 2003 erschien, werden von Gedichten begleitet. Die einzelnen Bilder sind von immer wieder anderen Gestalten bevölkert, an Vegetation und Wetter erkennt man die einzelnen Monate und mit ihnen die wechselnden Jahreszeiten. Wilharm hat sich dabei nicht in jedem Fall an den Inhalten der Gedichte orientiert. Das Mai-Blatt (Abb.9), dem das Gedicht »Weiße Schwalben sah ich fliegen« von Stefan George zugeordnet ist, zeigt ein Mädchen, das die Gesichtszüge der Illustratorin trägt und das in einer Kaffeekanne um die Welt fliegt. Jedenfalls hat sie eine Weltkarte in der Hand. Katze und Hund fliegen auch mit. Und dann sind da noch die blinden Passagiere und diejenigen, die sich nicht mehr festhalten konnten, und andere, die selbsttätig durch die Luft fliegen oder auf anderen Flugapparaten. Die Wonne des Monats Mai ist hier eingefangen. Allerdings denkt man auch, eher als an Stefan George, unweigerlich an »Anne Kaffeekanne«, das Lied von
Ganz anders sind dagegen die Bilder in dem Buch »Mietshauskörper« (2003; Abb.4, 13), das allerdings auch vom Thema her schon bedrohlich wirkt. Es handelt sich um die Geschichte einer Psychose, die sich an einem Mietshaus festmacht. Sabine Wilharm hätte die Illustrationen zu dem Buch nicht übernommen, wenn sie nicht von dem Text überzeugt gewesen wäre. Doch sie war es und hat Bilder geschaffen, die genau die Enge, das Gefangensein in dem Haus, die Identifikation mit dem Haus darstellen. Das sind keine bunten Bilder, auch wenn sie mit verhaltenen Farben arbeitet. Und hier zeigt sich auch die Fähigkeit der Reduzierung auf ein Thema, auf etwas Wesentliches. Die Architektur des Hauses und die Hauptfigur des Buches Wilma gehen immer wieder neue Verbindungen ein. Das Haus wird zum Körper, zur Zelle und wird dann doch am Ende gesprengt, gerät aus den Fugen. Das alles ist in einer ganz einfachen klaren Bildsprache geschildert, die nichts (oder nur wenig) mit den fröhlichen Kalenderbildern zu tun hat.
Eine Symbiose dieser verschiedenen Malweisen stellt der Karpfen (Abb.12) dar, den sie für den 2006 von Armin Abmeier herausgegebenen Band »Hör zu, es ist kein Tier so klein …« zeichnete. Mit diesem Karpfen illustriert sie einen Vierzeiler von Guillaume Apollinaire. Das »Geschöpf der Melancholie« trägt einen grün changierenden Anzug, ganz leicht gepunktet. Man ahnt eher das Rot, als dass man es sieht. Dieser Karpfen steht auf einem welligen Untergrund – mag dies Wasser sein oder Sand – auf seinen Flossen, die aus der Anzughose herausragen und durch die Wellen hindurchscheinen. Trotz der Schwanzflossen besitzt er Arme und Hände, die er, wie ein alter Schulmeister, auf dem Rücken verschränkt. Diesen Rücken sehen wir mitsamt einem riesigen Buckel. Den großen Kopf hat er so zur Seite gewandt, dass wir ihn im Profil erkennen können, einen sehr traurig dreinblickenden Karpfen mit langen Barthaaren, die mehr an ein Walross erinnern. Wo aber befindet sich dieser Karpfen? Das Wasser, wenn es denn welches ist, benetzt nur seine Schwanzflossen. Hinter ihm (bzw. vor ihm, wenn er nach vorne blicken würde) erhebt sich eine gerade Wand: die Begrenzung des (fast leeren) Teiches in einem sandigen Hellgrün. Oben auf einer Straße oder einem Weg auf eine Brücke zu geht Mutter Frosch mit ihrem Kind auf dem Rücken, gerade vom Einkaufen kommend. Sie steht für eine Aktivität, die der melancholische Karpfen sich gar nicht vorstellen kann. An der Brücke steht ein einsamer Baum. Der »Himmel« ist nicht blau, sondern einfach weiß gelassen. Gerade das Weiß des Himmels macht aus dem Bild tatsächlich ein Bild auf einem Blatt, das sich vor einem mit Fischen bevölkerten Wasser befindet. Ist dieses Wasser nun der Rahmen des Bildes, der die wahre Natur des Karpfen zeigt oder aber das Bild ein Blatt, das vor einem Aquarium hängt (steht, klebt)? Unweigerlich wird man an die Bilder des Surrealisten
Die Freiheit, sich vom zu illustrierenden Text zu lösen, nimmt sich Wilharm nach wie vor. Bei dem im Jahr 2013 erschienenen »Erlkönig« greift sie etwa insofern in die Geschichte ein, als sie eine Rahmenhandlung schafft. Vater und Sohn sitzen im Zug nach Weimar. Während der Reise träumt das sicher auf dem Schoß des Vaters schlafende Kind die Ballade, der damit die unausweichliche Bedrohung genommen wird. Zwischen den als Comic strip gezeichneten Anfangs- und Endsequenzen stehen dann Bilder, in denen die Angst des Kindes greifbar wird, in denen sich der Erlkönig vervielfacht und von allen Seiten angreift und seine Töchter mit immer länger werdenden Armen nach dem Kind greifen.
Susanna Partsch
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Abb.1, 7 © Sabine Wilharm / VG Bild Kunst / Elefanten Press, Berlin; Abb.2 © Sabine Wilharm / VG Bild Kunst / Carl Hanser Verlag, München; Abb.3 © Sabine Wilharm / VG Bild Kunst / Cecilie Dressler Verlag in Oetinger Verlagsgruppe GmbH, Hamburg; Abb.4, 13 © VG Bild Kunst / Achilla Presse, Hamburg; Abb.5, 6, 11, 12 © Sabine Wilharm / VG Bild Kunst / Carlsen Verlag, Hamburg; Abb.9 © Sabine Wilharm; Abb.8, 10 © Sabine Wilharm / VG Bild Kunst / Kindermann Verlag
1 Lügen haben lange Beine, 1992
2 Eugen Eule, 2000
3 Fee und Ferkel, 2005
4 Mietshauskörper, 2003
5 J.K. Rowling, Harry Potter und der Stein der Weisen, 1998
6 Diana Wynne Jones, Von Irgendwo nach Fastüberall, 2004
7 Nava Semel, Flugstunden, 1995
8 J.W.v. Goethe, Zauberlehrling, 2006
9 Kalender (Mai-Blatt), 2003
10 Zauberlehrling, 2006
11 Zum Strand, 2007
12 Der Karpfen, aus: Hör zu, es ist kein Tier zu klein …, 2006
13 Mietshauskörper, 2003